Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stärkt das Selbstbestimmungsrecht – doch klare Regeln und Sorgfaltspflichten bleiben unerlässlich.
Selbstbestimmtes Sterben setzt Freiverantwortlichkeit voraus, die mit hohen Anforderungen im Sinne eines juristischen Schutzkonzeptes verknüpft ist. In Deutschland besteht der Rechtsgrundsatz, dass jeder volljährigen Person eine ausreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit unterstellt wird. Nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass diese nicht (mehr) gegeben sein könnte, wäre eine psychiatrisch-psychologische Überprüfung angezeigt und verhältnismäßig. Das Bundesverfassungsgericht hat wohlwissend, dass der von einem Suizidwilligen empfundene Leidensdruck keiner objektiven Messung durch Dritte zugänglich ist, in seinem Urteil die Freiverantwortlichkeit an folgenden Kriterien festgemacht:
Eine hinreichende Entscheidungs- und Beurteilungsfähigkeit ist die Grundvoraussetzung. Es darf keine akute psychische oder kognitive Erkrankung vorliegen, welche die freie Willensbildung einschränkt. Der Sterbewillige muss die Irreversibilität seines Vorhabens vollständig erfassen und einordnen können.
Der Sterbewunsch muss nachvollziehbar auf einer fundierten und wohlüberlegten Entscheidung basieren. Alle Alternativen zum Freitod sowie deren Konsequenzen müssen bekannt sein und gegeneinander abgewogen werden können – auf Basis umfassender Aufklärung und Beratung.
Der Wunsch nach einem Freitod darf nicht aus einer kurzfristigen Lebenskrise oder Stimmungslage heraus entstehen. Er muss das Ergebnis einer längeren inneren Auseinandersetzung sein. Dabei kann die „notwendige Dauer“ je nach Lebenssituation variieren – etwa zwischen schwerkranken und hochbetagten Menschen.
Der Entschluss zum Freitod muss ohne äußeren Druck, Manipulation oder Zwang getroffen werden. Die Entscheidung muss eigenständig und authentisch sein. Angehörige und behandelnde Ärzte sollten – soweit möglich – informiert und in den Prozess einbezogen werden.
Der letzte Schritt, welcher bei der Durchführung des Suizids den Tod herbeiführt, muss durch den Sterbewilligen selbst ausgeführt werden. Das tödliche Medikament darf nur vom Betroffenen selbst „aktiviert“ werden (z. B. durch Öffnen eines Infusionssystems). Wenn technische Hilfsmittel notwendig sind, müssen diese so gestaltet sein, dass die eigenverantwortliche Durchführung eindeutig ersichtlich bleibt. Dies kann auch durch eine Video-Dokumentation abgesichert werden.
Alle volljährigen Personen mit vollständiger Freiverantwortlichkeit haben laut Bundesverfassungsgericht das Recht, Unterstützung für ein selbstbestimmtes Lebensende durch Sterbehelfer in Anspruch zu nehmen. Bei VOLUNTATE erfolgt die Entscheidung über eine mögliche Begleitung im Team, welches die Erfüllung aller Kriterien nach bestem Wissen und Gewissen prüft und bewertet.
Die aktive Entscheidung für ein selbst bestimmtes Lebensende ist das Ergebnis intensiver persönlicher Auseinandersetzung. Menschen, die diesen Weg in Betracht ziehen, haben unterschiedliche Hintergründe: schwere Erkrankungen, anhaltendes Leiden oder das Gefühl, ihr erfülltes Leben in Würde abschließen zu wollen. Ihre Beweggründe sind dabei sehr individuell.
Menschen mit schwersten körperlichen Erkrankungen, die mit starken Belastungen, Einschränkungen und Hoffnungslosigkeit einhergehen, können oft einen gefestigten Sterbewunsch entwickeln. Das betrifft vor allem Personen mit schweren neurologischen Krankheiten, fortgeschrittenen Tumor-Erkrankungen oder schmerzhaften, irreversiblen Leiden. Je nach Situation kann auch zeitliche Dringlichkeit bestehen. Hier braucht es einen besonders offenen Austausch zwischen Sterbewilligen und Helferteam.
In einer alternden Gesellschaft fühlen sich viele Hochbetagte ab einem gewissen Punkt müde vom Leben. Sie blicken auf ein erfülltes Leben zurück und verspüren das Bedürfnis, es bewusst, schmerzfrei und in Würde zu beenden. Dabei spielen altersbedingte Gebrechlichkeit, eingeschränkte Lebensqualität und die Angst vor Pflegebedürftigkeit oder Autonomieverlust eine zentrale Rolle. Oft lässt sich ein drohender Umzug in eine Pflegeeinrichtung nicht mit einem freiheitlich-humanistischen Lebensmodell vereinen.
Sterbehilfe darf nicht geleistet werden, wenn die Freiverantwortlichkeit fehlt. Das ist der Fall, wenn eine Person ihre Situation nicht mehr eigenständig erfassen und abwägen kann – etwa bei fortgeschrittener Demenz oder schweren kognitiven Einschränkungen. Auch akute psychiatrische Krisen, vorübergehende emotionale Ausnahmesituationen, Rauschzustände oder Wahnvorstellungen schließen eine Freitodbegleitung aus. Ist der Sterbewunsch nach Abklingen einer akuten Phase weiterhin stabil vorhanden, kann die Freiverantwortlichkeit erneut geprüft werden.
Wenn der Sterbewillige nicht mehr in der Lage ist, die Tatherrschaft zu übernehmen, ist eine Freitodbegleitung ebenfalls unzulässig. Eine „Freitod-Verfügung“ für einen späteren Zeitpunkt ist in Deutschland rechtlich nicht möglich, da die aktive Sterbehilfe als eine Tötung auf Verlangen strafbar ist.
(Personenbezeichnungen und -Abkürzungen stehen für alle Geschlechter gleichermaßen.)